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Wieso „Wunderheiler“ und „Geistheiler“ keine Erlaubnis brauchen – Anmerkung zu BVerfG Beschl. v. 3. 6. 2004 – 2 BvR 1802/02 = NJW 2004, 2890

Im Folgenden geht es um einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2004, in welchem die Frage beantwortet wird, ob eine Bestrafung eines „Wunderheilers“ wegen eines Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz (HeilprG) gegen die Berufsfreiheit des „Wunderheilers“ (Art. 12 GG) verstößt. Hintergrund dieser Entscheidung ist die Frage, ob „Wunderheiler“, „Geistheiler“ und ähnliche Berufsgruppen eine Erlaubnis nach dem HeilprG benötigen um praktizieren zu können oder nicht.

(Der Beschluss ist hier frei zugänglich: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040603_2bvr180202.html

Ein weiterer Beschluss, der dieselbe Problematik aus verwaltungsrechtlicher Sicht betrifft und identische Überlegungen enthält, ist hier frei zugänglich: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040302_1bvr078403.html)

I. Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer betätigte sich als „Wunderheiler“ und „behandelte“ als solcher schwerkranke Menschen, indem er ihnen die „Hände auflegte“. Da er keine Erlaubnis nach dem HeilprG besaß, wurde er von der Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen § 5 iVm. § 1 II HeilprG angeklagt. Das Amtsgericht sprach den Beschwerdeführer mit der Begründung frei, dass dieser gar keine Erlaubnis nach dem HeilprG benötige. Das Oberlandesgericht hob dieses Urteil als Folge der eingelegten Sprungrevision auf und verwies an das Amtsgericht zurück. Dort wurde der Beschwerdeführer nunmehr zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen eingelegte Rechtsmittel blieben erfolglos. Gegen die belastenden Urteile wendete sich der Beschwerdeführer mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht. Diese Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

II. Rechtliche Würdigung:
Bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde wird nicht noch einmal die Richtigkeit der vorhergehenden Urteile geprüft, da dies allein Sache der ordentlichen Gerichte ist. Merksatz: „Das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz.“ Vielmehr wird lediglich geprüft, ob die Gerichte bei der Urteilsfindung die Grundrechte des Beschwerdeführers genügend in ihre Abwägung einbezogen haben. Konkret ist hier also fraglich gewesen, ob die Gerichte bei ihrem Urteil die Berufsfreiheit des „Wunderheilers“ nach Art. 12 GG genügend berücksichtigt haben, oder ob eine Bestrafung unverhältnismäßig war.
Entscheidend für diese Frage war hier, ob sich der „Wunderheiler“ gemäß § 5 HeilprG strafbar gemacht hatte:

„Wer, ohne zur Ausübung des ärztlichen Berufs berechtigt zu sein und ohne eine Erlaubnis nach § 1 zu besitzen, die Heilkunde ausübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“

Da der „Wunderheiler“ im konkreten Fall tatsächlich keine Erlaubnis hatte, stand ein Verstoß gegen § 1 II HeilprG im Raum:

„(1) Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis.
(2) Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.”

Die juristische Problematik bestand nunmehr zunächst darin zu entscheiden, ob der „Wunderheiler“ überhaupt Heilkunde nach § 1 II HeilprG ausübt.

1. Handauflegen als Heilkunde
Ob etwas als Heilkunde einzustufen ist oder nicht, kann aus dem Gesetz trotz der Definition nicht ohne weiteres entnommen werden. Auf wissenschaftliche Erkenntnisse kann man aber gerade nicht abstellen, da das Gesetz ja für solche Heiler geschaffen ist, die auch Methoden anwenden, welche sich außerhalb der zuweilen so genannten „Schulmedizin“ befinden. Um diesem Dilemma juristisch zu begegnen, hat die Rechtsprechung zwei Einschränkungen für die oben genannte Definition geschaffen (sog. Verfassungskonforme Auslegung). Zum einen muss es sich um eine Tätigkeit handeln, die medizinisches oder ärztliches Fachwissen erfordert und zum anderen muss die Tätigkeit zumindest geeignet sein, Gesundheitsschäden beim Kunden hervorzurufen (Spickhoff/Schelling, Medizinrecht, 1. Aufl. 2011, § 1 HeilprG Rn. 11ff.) – denn nur dann ist eine staatliche Aufsicht im Rahmen einer Erlaubniserteilung zum Schutz der Kunden notwendig und verhältnismäßig.

Bezüglich der ersten Einschränkung kommt das BverfG hier zu dem grundsätzlich nicht überraschenden Ergebnis, dass für das Handauflegen durch einen Wunderheiler und (ähnlichen „geistigen“ Methoden) ärztliche Fachkenntnisse nicht erforderlich sind und überdies diese „rituelle“ Art der „Behandlung“ so extrem von einem „echten“ ärztlichen Vorgehen abweicht, dass noch nicht einmal der Eindruck entstehen kann, es würde sich tatsächlich um eine Heilbehandlung handeln. Daher „setzt [der Kunde, N.] sein Vertrauen nicht in die Heilkunde und wählt etwas von einer Heilbehandlung Verschiedenes, wenngleich auch von diesem Weg Genesung erhofft wird.”

Dieses Ergebnis des Senats ist im Endeffekt richtig, macht aber das ganze Dilemma des HeilprG deutlich, denn nunmehr ergibt sich die Formel: Umso esoterischer und abwegiger man „behandelt“, umso weniger braucht man eine Erlaubnis dafür. Dies stellt den Sinn des HeilprG auf den ersten Blick völlig auf den Kopf und veranlasste die Instanzgerichte hier auch verständlicherweise zu den Verurteilungen. Auf den zweiten Blick aber überzeugt das Ergebnis des BVerfG: Folge einer Erlaubnispflicht für „Wunderheiler“ wäre nämlich, dass der Staat diese im Endeffekt auch zertifizieren müsste. Mit der Ausstellung einer Erlaubnis an „Wunderheiler“, würde man sie wiederum aber legitimieren, da sie erst recht den Eindruck erwecken würden, heilen zu können. Dies würde die Scharlatane näher an die echten Ärzte heranführen und mithin die Gefahr erhöhen, dass der Kunde sich komplett von der Medizin abwendet und eine notwendige Behandlung zugunsten einer Geistheilung unterlässt.

Für die Erlaubnispflicht muss also im Ergebnis eine gewisse Nähe zu einem „echten“ Arzt gegeben sein. Die Befreiung von „Wunderheilern“, „Geistheilern“ und ähnlichem von dieser Pflicht ist damit kein besonderer Vorteil, sondern eine Abwertung gegenüber anderen Berufsgruppen, die tatsächlich unter das HeilprG fallen, wie zB. Chiropraktiker.

2. Gefahr der Gesundheitsgefährdung
Überdies wohnte der Behandlung des „Wunderheilers“ auch keine Gefahr einer Gesundheitsschädigung inne. Eine Gefahr besteht bei Handauflegen, „Gesundbeten“ oder ähnlichen Methoden lediglich darin, dass der Kunde eine andere Form der Behandlung eventuell unterlassen könnte. Im vorliegenden Fall hatte der „Wunderheiler“ aber im persönlichen Gespräch und durch Auslegen eines Merkblattes darauf hingewiesen, dass er eine medizinische Behandlung nicht ersetzen kann. Mehr kann von ihm in dieser Situation auch nicht erwartet werden.

III. Zusammenfassung
Juristisch überzeugen die beiden Beschlüsse des BVerfG. Sie deuten aber auf die bestehende Unzulänglichkeit des HeilprG hin, mit solchen „rituellen“ Berufsgruppen adäquat umgehen zu können. Der Senat wertet „Wunderheiler“ und „Geistheiler“ zwar ab, andere Heilpraktiker hingegen wertet er auf, da er sie in die Nähe von Ärzten rückt. Weil die Grenze hier zuweilen fließend sein kann, ist dieses juristisch richtige Vorgehen gesellschaftlich kritisch zu sehen.

Als Ergebnis kann für Erkrankte aus diesem Beschluss nur folgen, dass das Wahrnehmen von Eigenverantwortung umso wichtiger wird, je mehr sie sich von der Medizin als Wissenschaft entfernen. Dass genau darin in Anbetracht manch medizinisch auswegloser Situation zuweilen das Problem bestehen wird, kann juristisch nicht durch eine Erlaubnispflicht gelöst werden. Der Staat kann lediglich warnen und aufklären, „Wunderheiler“ aber gesetzlich mit der Begründung leichtgläubige Menschen vor sich selbst zu schützen als Heiler anzuerkennen wäre nicht zielführend.

Erfinden von “Verschwörungstheorien” als Verteidigungsstrategie im Strafprozess? – Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 13.06.2000 – 4 StR 179/00

I. Vorbemerkungen

Die Anmerkung zu dem genannten Beschluss aus dem Jahr 2000 soll sich nur auf den Bereich der Strafzumessung beschränken. Das heißt, dass ich im Folgenden lediglich die Frage erläutern werde, ob das Erfinden von Verschwörungstheorien durch den Angeklagten strafschärfend bei der Strafzumessung in einem Prozess berücksichtigt werden darf. Den materiellen Teil des Verfahrens lasse ich dabei dahingestellt. Dies zum einen, weil es bei der Frage der Bewertung von erfundenen Verschwörungstheorien als Verteidigungsverhalten keine Rolle spielt um welches Delikt es sich materiellrechtlich handelt und zum anderen, da es speziell in diesem Fall um Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern ging. Daher möchte ich auch vorsorglich eine Triggerwarnung für den Wortlaut des Beschlusses aussprechen, auch wenn der Sachverhalt dort nur verkürzt dargestellt wird, da es sich um eine Revision handelte:

(Der Beschluss ist hier frei zugänglich: http://openjur.de/u/61566.html)

 II. Prozessrechtlicher Sachverhalt

Bei dem Verfahren gegen den Angeklagten vor dem LG Halle hatte dieser mehrere „Verschwörungstheorien“ erfunden, um von seiner bestehenden Schuld abzulenken. Dadurch hatte der Angeklagte es geschafft den Prozess hinauszuzögern und zu behindern, da das LG neue Zeugen vernehmen musste, die allesamt nichts zur Klärung des eigentlichen Tatvorwurfs beitragen konnten. Das Gericht hatte dies zu Ungunsten des Angeklagten gewertet und mithin straferhöhend berücksichtigt. Dagegen (und gegen weitere Punkte des Urteils) wendete sich der Angeklagte mit seiner Revision. In diesem Punkt gab der BGH der Revision statt und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das LG zurück.

III. Rechtliche Würdigung

Der BGH geht zu Recht davon aus, dass es rechtsfehlerhaft ist, das Erfinden von „Verschwörungstheorien“ strafschärfend zu bewerten. Die ursprünglichen Ausführungen des LG Halle sind daher unzutreffend.

Grund dafür ist, dass ein Verhalten nach der Tat -und vor allem ein Verhalten im Prozess- unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nur in engen Grenzen strafschärfend wirken darf. Hier geht es um die Bewertung eines Verteidigungsverhaltens und ein solches kann nach ständiger Rechtsprechung nur dann negativ gewertet werden, „wenn der Angekl. bei seiner Verteidigung ein Verhalten an den Tag legt, das im Hinblick auf die Art der Tat und die Persönlichkeit des Täters auf besondere Rechtsfeindlichkeit und Gefährlichkeit schließen lässt“ (st. Rspr. zuletzt BGH NstZ 2012, 626). Bei einem reinen Abwälzen der Schuld auf eine erfundene Verschwörung bzw. sei dies nicht der Fall.

Im Kern geht es bei dieser Feststellung um eine Prozessmaxime, also einen generellen Grundsatz des Strafprozesses an sich. (Ein Schaubild über diese Prozessmaximen findet sich hier frei zugänglich: https://www.uni-leipzig.de/~straf/materialien/sose06/stpo-1-ohmaximen.pdf.)

Der speziell betroffenen Grundsatz ist der so genannte „nemo-tenetur“-Grundsatz (ausgesprochen lautet er: „Nemo tenetur se ipsum accusare“). Dieser Grundsatz besagt, dass niemand an seiner eigenen Verurteilung mitwirken muss (wörtlich: „Niemand ist verpflichtet, sich selbst anzuklagen“). Die Worte „selbst anzuklagen“ werden hier als „selbst belasten“ im weitesten Sinne verstanden. Daher regelt § 136 I 2 StPO auch: „[…] Er [der Beschuldigte, N.] ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen […]. (Dasselbe ergibt sich für andere Verfahrensstadien auch aus § 163a IV 2 und § 243 IV 1 StPO)

Aus diesem Grundsatz folgt aber nicht nur, dass der Angeklagte zum Tatvorwurf schweigen darf, sondern, dass es ihm auch grundsätzlich erlaubt ist zu lügen bzw. den Vorwurf zu leugnen, um sich zu verteidigen. Würde man nämlich den Angeklagten dafür bestrafen, dass er alle zulässigen und verfügbaren Mittel für seine Verteidigung verwendet, so würde man ihn implizit zwingen an seiner eigenen Verurteilung mitzuwirken, da er nur dann ohne Straferhöhung davonkommen könnte. Insofern also eine Lüge (und nichts anderes ist eine erfundene Verschwörungstheorie) als Verteidigungsverhalten zulässig ist, darf dieses Verhalten unter Berücksichtigung des „nemo-tenetur“-Grundsatzes auch nicht strafschärfend bewertet werden.

IV. Zusammenfassung

Diese Ansicht des BGH ist ständige Rechtsprechung und auch in der Literatur anerkannt. Das Erfinden von Verschwörungstheorien darf deshalb nicht strafschärfend wirken. Ein anderes Ergebnis ließe sich aus rechtsstaatlichen Gründen nicht vertreten. Die Grenze, bei der ein Verhalten im Prozess strafschärfend berücksichtigt werden kann, ist aber beispielsweise dort erreicht, wo ein Zeuge vom Angeklagten unzulässig beeinflusst werden soll oder ein solcher verleumdet wird (vgl. dazu und zu weiteren Beispielen Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 46 StGB Rn. 41a).

Normankontrollverfahren bei THE SKEPTATOR

Das Normankontrollverfahren ist ab heute mit ausgewählten Beiträgen auch beim Metablog THE SKEPTATOR (http://skeptator.blogspot.de/) gelistet.

Dabei handelt es sich um “Ein Blogportal, ein Aggregator, eine Suchmaschine, ein Meta-Blog. Etwas von allem. Der Aggregator arbeitet automatisch und sucht aus einer vorgegebenen Sammlung von Blogs täglich nach bestimmten Kriterien Artikel zusammen, zeigt kurze Textauschnitte (Snippets), Vorschaubilder und Links zu den Originalartikeln an.
Auf dieser Seite werden keine eigenen Inhalte veröffentlicht. Alle Beiträge stammen von den angegebenen Verfassern und sind auf deren Seiten vollständig abrufbar.
Außerdem sind in der Blogroll weitere Blogs und Websites verlinkt, die thematisch zum Inhalt dieses Meta-Blogs passen.” (http://skeptator.blogspot.de/p/uber-diese-seite.html=)

Die Entstehungsgeschichte zu THE SKEPTATOR gibt es hier: http://blog.psiram.com/2012/07/ein-blogportal-fuer-skeptiker/

Ich danke dem Team von THE SKEPTATOR vielmals für meine Aufnahme und hoffe interessante Artikel beisteuern zu können.

Norman