Im Folgenden geht es um einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2004, in welchem die Frage beantwortet wird, ob eine Bestrafung eines „Wunderheilers“ wegen eines Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz (HeilprG) gegen die Berufsfreiheit des „Wunderheilers“ (Art. 12 GG) verstößt. Hintergrund dieser Entscheidung ist die Frage, ob „Wunderheiler“, „Geistheiler“ und ähnliche Berufsgruppen eine Erlaubnis nach dem HeilprG benötigen um praktizieren zu können oder nicht.
(Der Beschluss ist hier frei zugänglich: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040603_2bvr180202.html
Ein weiterer Beschluss, der dieselbe Problematik aus verwaltungsrechtlicher Sicht betrifft und identische Überlegungen enthält, ist hier frei zugänglich: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040302_1bvr078403.html)
I. Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer betätigte sich als „Wunderheiler“ und „behandelte“ als solcher schwerkranke Menschen, indem er ihnen die „Hände auflegte“. Da er keine Erlaubnis nach dem HeilprG besaß, wurde er von der Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen § 5 iVm. § 1 II HeilprG angeklagt. Das Amtsgericht sprach den Beschwerdeführer mit der Begründung frei, dass dieser gar keine Erlaubnis nach dem HeilprG benötige. Das Oberlandesgericht hob dieses Urteil als Folge der eingelegten Sprungrevision auf und verwies an das Amtsgericht zurück. Dort wurde der Beschwerdeführer nunmehr zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen eingelegte Rechtsmittel blieben erfolglos. Gegen die belastenden Urteile wendete sich der Beschwerdeführer mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht. Diese Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.
II. Rechtliche Würdigung:
Bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde wird nicht noch einmal die Richtigkeit der vorhergehenden Urteile geprüft, da dies allein Sache der ordentlichen Gerichte ist. Merksatz: „Das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz.“ Vielmehr wird lediglich geprüft, ob die Gerichte bei der Urteilsfindung die Grundrechte des Beschwerdeführers genügend in ihre Abwägung einbezogen haben. Konkret ist hier also fraglich gewesen, ob die Gerichte bei ihrem Urteil die Berufsfreiheit des „Wunderheilers“ nach Art. 12 GG genügend berücksichtigt haben, oder ob eine Bestrafung unverhältnismäßig war.
Entscheidend für diese Frage war hier, ob sich der „Wunderheiler“ gemäß § 5 HeilprG strafbar gemacht hatte:
„Wer, ohne zur Ausübung des ärztlichen Berufs berechtigt zu sein und ohne eine Erlaubnis nach § 1 zu besitzen, die Heilkunde ausübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
Da der „Wunderheiler“ im konkreten Fall tatsächlich keine Erlaubnis hatte, stand ein Verstoß gegen § 1 II HeilprG im Raum:
„(1) Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis.
(2) Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.”
Die juristische Problematik bestand nunmehr zunächst darin zu entscheiden, ob der „Wunderheiler“ überhaupt Heilkunde nach § 1 II HeilprG ausübt.
1. Handauflegen als Heilkunde
Ob etwas als Heilkunde einzustufen ist oder nicht, kann aus dem Gesetz trotz der Definition nicht ohne weiteres entnommen werden. Auf wissenschaftliche Erkenntnisse kann man aber gerade nicht abstellen, da das Gesetz ja für solche Heiler geschaffen ist, die auch Methoden anwenden, welche sich außerhalb der zuweilen so genannten „Schulmedizin“ befinden. Um diesem Dilemma juristisch zu begegnen, hat die Rechtsprechung zwei Einschränkungen für die oben genannte Definition geschaffen (sog. Verfassungskonforme Auslegung). Zum einen muss es sich um eine Tätigkeit handeln, die medizinisches oder ärztliches Fachwissen erfordert und zum anderen muss die Tätigkeit zumindest geeignet sein, Gesundheitsschäden beim Kunden hervorzurufen (Spickhoff/Schelling, Medizinrecht, 1. Aufl. 2011, § 1 HeilprG Rn. 11ff.) – denn nur dann ist eine staatliche Aufsicht im Rahmen einer Erlaubniserteilung zum Schutz der Kunden notwendig und verhältnismäßig.
Bezüglich der ersten Einschränkung kommt das BverfG hier zu dem grundsätzlich nicht überraschenden Ergebnis, dass für das Handauflegen durch einen Wunderheiler und (ähnlichen „geistigen“ Methoden) ärztliche Fachkenntnisse nicht erforderlich sind und überdies diese „rituelle“ Art der „Behandlung“ so extrem von einem „echten“ ärztlichen Vorgehen abweicht, dass noch nicht einmal der Eindruck entstehen kann, es würde sich tatsächlich um eine Heilbehandlung handeln. Daher „setzt [der Kunde, N.] sein Vertrauen nicht in die Heilkunde und wählt etwas von einer Heilbehandlung Verschiedenes, wenngleich auch von diesem Weg Genesung erhofft wird.”
Dieses Ergebnis des Senats ist im Endeffekt richtig, macht aber das ganze Dilemma des HeilprG deutlich, denn nunmehr ergibt sich die Formel: Umso esoterischer und abwegiger man „behandelt“, umso weniger braucht man eine Erlaubnis dafür. Dies stellt den Sinn des HeilprG auf den ersten Blick völlig auf den Kopf und veranlasste die Instanzgerichte hier auch verständlicherweise zu den Verurteilungen. Auf den zweiten Blick aber überzeugt das Ergebnis des BVerfG: Folge einer Erlaubnispflicht für „Wunderheiler“ wäre nämlich, dass der Staat diese im Endeffekt auch zertifizieren müsste. Mit der Ausstellung einer Erlaubnis an „Wunderheiler“, würde man sie wiederum aber legitimieren, da sie erst recht den Eindruck erwecken würden, heilen zu können. Dies würde die Scharlatane näher an die echten Ärzte heranführen und mithin die Gefahr erhöhen, dass der Kunde sich komplett von der Medizin abwendet und eine notwendige Behandlung zugunsten einer Geistheilung unterlässt.
Für die Erlaubnispflicht muss also im Ergebnis eine gewisse Nähe zu einem „echten“ Arzt gegeben sein. Die Befreiung von „Wunderheilern“, „Geistheilern“ und ähnlichem von dieser Pflicht ist damit kein besonderer Vorteil, sondern eine Abwertung gegenüber anderen Berufsgruppen, die tatsächlich unter das HeilprG fallen, wie zB. Chiropraktiker.
2. Gefahr der Gesundheitsgefährdung
Überdies wohnte der Behandlung des „Wunderheilers“ auch keine Gefahr einer Gesundheitsschädigung inne. Eine Gefahr besteht bei Handauflegen, „Gesundbeten“ oder ähnlichen Methoden lediglich darin, dass der Kunde eine andere Form der Behandlung eventuell unterlassen könnte. Im vorliegenden Fall hatte der „Wunderheiler“ aber im persönlichen Gespräch und durch Auslegen eines Merkblattes darauf hingewiesen, dass er eine medizinische Behandlung nicht ersetzen kann. Mehr kann von ihm in dieser Situation auch nicht erwartet werden.
III. Zusammenfassung
Juristisch überzeugen die beiden Beschlüsse des BVerfG. Sie deuten aber auf die bestehende Unzulänglichkeit des HeilprG hin, mit solchen „rituellen“ Berufsgruppen adäquat umgehen zu können. Der Senat wertet „Wunderheiler“ und „Geistheiler“ zwar ab, andere Heilpraktiker hingegen wertet er auf, da er sie in die Nähe von Ärzten rückt. Weil die Grenze hier zuweilen fließend sein kann, ist dieses juristisch richtige Vorgehen gesellschaftlich kritisch zu sehen.
Als Ergebnis kann für Erkrankte aus diesem Beschluss nur folgen, dass das Wahrnehmen von Eigenverantwortung umso wichtiger wird, je mehr sie sich von der Medizin als Wissenschaft entfernen. Dass genau darin in Anbetracht manch medizinisch auswegloser Situation zuweilen das Problem bestehen wird, kann juristisch nicht durch eine Erlaubnispflicht gelöst werden. Der Staat kann lediglich warnen und aufklären, „Wunderheiler“ aber gesetzlich mit der Begründung leichtgläubige Menschen vor sich selbst zu schützen als Heiler anzuerkennen wäre nicht zielführend.