Herausgabe einer Diensttelefonliste – Feuchte Augen für Reichsbürger und Staatenlose? Anmerkung zu VG Gießen, Urt. v. 24.02.2014 – 4 K 2911/13 GI

(Das Urteil kann man im Wortlaut beispielsweise hier frei zugänglich finden: http://www.burhoff.de/insert/?/asp_weitere_beschluesse/inhalte/2539.htm)

Ein von seiner Ausgangslage her nicht gerade Spannung versprechendes Urteil des VG Gießen aus dem Frühjahr diese Jahres hat es (leider) in sich. Die Beantwortung der eigentlich streitigen Frage selbst ist dabei eher uninteressant. Interessant ist vielmehr die Wirkung des Urteils in den Kreisen der Reichsbürger und Staatenlosen, also derjenigen, die die Bundesrepublik Deutschland wahlweise für eine „Firma“, eine „GmbH“ oder alles mögliche halten, jedoch nicht für einen Staat.

Das Urteil des VG Gießen hat ihnen Jubeltränen in die Augen getrieben und zu Überschriften geführt wie: „Gericht bestätigt: Alles Firmenstruktur“ (Ich werde keine Nachweise oder Links zu diesen einschlägigen Seiten anführen, um sie nicht noch bekannter zu machen. Dieses Zitat muss deshalb für sich stehen.) Ob es einen Grund für diesen Jubel gibt, soll im Folgenden untersucht werden

I. Sachverhalt

Der juristische Streit ist eigentlich schnell erklärt: Der Kläger machte einen Anspruch auf Zugang zur aktuellen Diensttelefonliste des beklagten Jobcenters aus §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 1 und 4 Informationsfreiheitsgesetz (IFG) geltend, um direkt an die Durchwahl seines zuständigen Sachbearbeiters zu gelangen und nicht auf das sog. Service-Center angewiesen zu sein. Das Jobcenter lehnte diesen Antrag ab, worauf der Kläger nach erfolglos durchgeführtem Vorverfahren Verpflichtungsklage erhob, in der er geltend machte, dass die Ablehnung des Antrags durch die Beklagte rechtswidrig gewesen sei und ihn in seinen Rechten verletzt habe (§ 113 Abs.1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Das VG Gießen gab im Ergebnis dem Begehren des Klägers statt und verurteilte die Beklagte zur Herausgabe der Diensttelefonliste.

II. Rechtliche Würdigung

Der Anspruch auf Herausgabe der Mitarbeiterdaten aus dem IFG war vom Jobcenter ursprünglich mit der Begründung abgelehnt worden, dass der Schutz der Mitarbeiter das Informationsinteresse des Antragstellers überwiege, da dieser sich an das „Service-Center“ wenden könne und eine direkte Durchwahl zum Sachbearbeiter ihm überdies gar keinen Vorteil bringe. Entscheidend für diese Argumentation ist vor allem, ob eine solche Interessenabwägung überhaupt vorgenommen werden kann – also ob für die angeforderten Mitarbeiterdaten der Ausnahmetatbestand des § 5 Abs. 1 S. 1 IFG gilt – oder ob nach § 5 Abs. 4 IFG die angeforderten Daten gar nicht schutzwürdig sind:

(§ 5 Schutz personenbezogener Daten

(1) Zugang zu personenbezogenen Daten darf nur gewährt werden, soweit das Informationsinteresse des Antragstellers das schutzwürdige Interesse des Dritten am Ausschluss des Informationszugangs überwiegt oder der Dritte eingewilligt hat. Besondere Arten personenbezogener Daten im Sinne des § 3 Abs. 9 des Bundesdatenschutzgesetzes dürfen nur übermittelt werden, wenn der Dritte ausdrücklich eingewilligt hat.

[…]

(4) Name, Titel, akademischer Grad, Berufs- und Funktionsbezeichnung, Büroanschrift und -telekommunikationsnummer von Bearbeitern sind vom Informationszugang nicht ausgeschlossen, soweit sie Ausdruck und Folge der amtlichen Tätigkeit sind und kein Ausnahmetatbestand erfüllt ist.)

Das Gericht hielt hier § 5 Abs. 4 IFG für einschlägig, sodass das Interesse am Mitarbeiterdatenschutz keine Beachtung finden konnte. Auch die anderen Erwägungen des Jobcenters, wie z.B. der Erhalt der Funktionsfähigkeit der Verwaltung, führten nach Ansicht des Gerichts nicht zu einem anderen Ergebnis. Da es sich um einen gebunden Anspruch handelte, wurde die Beklagte konsequenterweise direkt verpflichtet den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen, mithin die Diensttelefonliste herauszugeben.

Insoweit ist das Urteil nicht zu beanstanden, auch wenn man aufgrund von Sicherheitsbedenken für die Sachbearbeiter, gerade durch Querulanten wie Reichsbürger usw. gut vertretbar zu einem anderen Ergebnis kommen könnte. Dazu hätte es aber -wie das Gericht zutreffend feststellt- konkreter Anhaltspunkte benötigt. Eine abstrakte Gefahr ist nicht ausreichend. Insgsamt überzeugt das Urteil daher. Es ist gerade die Aufgabe von Mitarbeitern des Jobcenters mit den Bürgern zu kommunizieren. Diese Kommunikation darf nur im Ausnahmefall eingeschränkt werden.

III. Rechtliche Würdigung unter besonderer Beachtung der Reichsbürger

Soweit, so unspektakulär. Der Aufreger dieses Urteils findet sich aber an einer Stelle, die nur marginal mit dem Fall selbst zu tun hat und auch nur sehr wohlwollend als obiter dictum bezeichnet werden kann. Dazu der betreffende Ausschnitt aus dem Urteil:

Zwar hat das Gericht erhebliche Zweifel daran, dass es sich bei dem Beklagten um eine Behörde oder Bundeseinrichtung handelt. Nach § 23 Abs. 1 VwVfG ist die Amtssprache und nach § 184 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Bei der Bezeichnung „Jobcenter” handelt es sich indes gerade nicht um eine aus der deutschen Sprache herrührende Begrifflichkeit. Von daher ist mehr als fraglich, ob eine unter dem Begriff „Jobcenter” firmierende Einrichtung eine deutsche Verwaltungsbehörde sein kann. Dies gilt ungeachtet dessen, dass im Bereich der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung in letzter Zeit vermehrt Anglizismen und andere Fremdworte Einzug gefunden haben, denn einer ordentlichen hoheitlichen deutschen Verwaltung ist auch eine deutsche Begrifflichkeit immanent. So gibt es in Hessen derzeit das „HCC— Hessisches Competence Center”, „Hessen Mobil”, „Hessisches Immobilienmanagement” und auch bundesweit den Begriff „Agentur für Arbeit”, was aber noch nicht belegt, dass hiermit auch tatsächliche deutsche Verwaltungsbehörden gemeint sind; denn diese Bezeichnungen können auch unschwer mit aussagekräftigen, althergebrachten und einprägsamen Wörtern der deutschen Sprache belegt werden, etwa mit „Hessische Buchungsstelle”, „Hessisches Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen”, „Hessische Liegenschaftsverwaltung” oder schlicht „Arbeitsamt”, wie es früher auch üblich und – besser- verständlich war. Einer alten Verwaltungsstruktur einen Fremdnamen zu geben modernisiert weder die Verwaltung noch gibt es andere Notwendigkeiten zur Verwendung fremdsprachlicher Begrifflichkeiten. Auch in der Gerichtsbarkeit findet vermehrt der Ausdruck „E-justice” Verwendung, was ebenfalls auf ein fehlendes oder aber zumindest fehlerhaftes deutsches Sprachbewusstsein schließen lässt, denn justice bezeichnet gerade den altbewährten Begriff Gerichtsbarkeit. Dankenswerter Weise darf das Gericht noch als Verwaltungsgericht entscheiden und muss sich —noch- nicht „administrative court” nennen und auch der HessVGH muss noch nicht als „hessian administrative court of appeal” Recht sprechen. Aus Sicht des Gerichts haben derartige Anglizismen oder andere Fremdworte weder in der deutschen Gerichtsbarkeit noch im deutschen Behördenaufbau einen Platz. Bei weiterem Fortschreiten derartiger sprachlicher Auswüchse erscheint infolge der verursachten Verwirrung die Funktionsfähigkeit des Verwaltungshandelns insgesamt gefährdet (vgl Die Heilige Schrift, 1. Mose 11, Verse 1, 7-9). Auch die Bezeichnung des Beklagten hätte man besser bei der alten Begrifflichkeit „Sozialamt” belassen und statt der neu- deutschen Bezeichnung „Kunden” trifft der Begriff „Antragsteller” den Kern der Sache besser, denn im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Kunde König, was im Aufgabenbereich des Beklagten wohl nur seltenst der Fall ist. Ungeachtet dieser Zweifel ist aber der Beklagte zur Überzeugung des Gerichts richtiger Beklagter und materiell passivlegitimiert, denn er geriert sich zumindest als Behörde bzw. Bundeseinrichtung mit der Folge, dass ihn auch der Anspruch aus dem IFG trifft. Der Beklagte handelt innerhalb der deutschen Rechtsordnung wie eine Behörde und gibt sich, um einmal in der Begrifflichkeit des Beklagten zu bleiben, auch den „touch” einer Behörde. Er agiert hoheitlich und mittels Verwaltungsakt und ist damit im Rechtsverkehr demzufolge auch wie eine Behörde zu behandeln.“

Zusammengefasst: Der Richter zweifelt, ob das Jobcenter ein Behörde ist, weil „Jobcenter“ kein deutsches Wort sei, und deshalb gegen §§ 23 Abs. 1 VwVfG, 184 GVG (Amts- und Gerichtssprache ist Deutsch) verstoße. Und wenn das Jobcenter keine Behörde ist, sondern lediglich eine Einrichtung, die unter dem Namen „Jobcenter“ firmiert, dann wäre es was? Richtig: eine Firma, genau so wie die BRD. So in etwa legen die Reichsbürger diese Stelle aus.

Sowohl die Auslegung dieser zitierten Stelle als auch die Ausführungen des Richters selbst sind völlig unhaltbar:

1. Kritik der Reichsbürgerauslegung

Die Auslegung der Reichsbürger übergeht, dass der Richter -wenn auch scheinbar widerwillig- davon ausgeht, dass es sich beim Jobcenter letztlich doch um ein Behörde handelt. Das Jobcenter nimmt Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr und bedient sich dabei hoheitlicher Akte zur Gestaltung der Rechtslage (z.B. handelt es durch Verwaltungsakte, § 35 S. 1 VwVfG) und das ist es, was eine Behörde ausmacht. (§ 1 Abs. 4 VwVfG: Behörde im Sinne dieses Gesetzes ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.)

Der Begriff „Firma“ wird insgesamt von Reichsbürgern falsch, nämlich unjuristisch verwendet. Die Sätze: „ Das Jobcenter ist eine Firma“ oder „Die BRD ist eine Firma“ ergeben überhaupt keinen Sinn. Eine Firma ist nichts anders als ein Name für das Geschäft eines Kaufmannes:

(§ 17 Abs. 1 HGB: Die Firma eines Kaufmanns ist der Name, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt.)

Umgangssprachlich wird jedoch der Begriff Firma oft mit dem Geschäft selbst identifiziert. So z.B.: „Ich arbeite bei einer Firma.“ Ein solcher Satz ist juristischer Unsinn. Das was die Reichsbürger aus dem Urteil machen, steht also so gar nicht drin und kann auch nirgendwo anders stehen, weil es schlichtweg falsch ist. Nichtsdestotrotz ist auch der Richter bzw. das VG Gießen zu kritisieren.

2. Kritik des Urteils

Stünde es nicht auf dem Papier, könnte man die oben zitierte Aussage des Richters für einen Witz halten. Der Begriff „Jobcenter“ verstößt natürlich nicht gegen die deutsche Amts- oder Gerichtssprache iSd. §§ 23 Abs. 1 VwVfG, 184 GVG. Job ist kraft Gewohnheit ebenso ein deutsches Wort wie Center. Es wäre völlig widersinnig z.B. den vermeintlich deutschen Begriff „Zentrum“ zuzulassen, den heute ebenso gebräuchlichen Begriff „Center“ aber abzulehnen, zumal die gemeinsame lateinische Herkunft offensichtlich ist. Den Begriff „Center“ einfach so als verwirrenden Anglizismus zu bezeichnen, ohne diese Etymologie zu beachten, deutet darauf hin, dass hier nur einmal Kritik an der modernen Welt geübt werden sollte. Dieser Eindruck wird dadurch bestätigt, dass zur Begründung auf die „Heilige Schrift“ abgestellt wird. So etwas hat in einem modernen, pluralen Rechtsstaat in einem Urteil nichts zu suchen.

Es würde mich interessieren, ob dieser Richter auch zweifeln würde, wenn der Inhaber eines possesorischen Besitzschutzschutzanspruches gegen eine gegen ihn gerichtete Vindikation die peremptorische Einrede des „dolo agit qui petit quod statim redditurus est“ gelten machen würde, oder ob das unproblematisch wäre. Da es sich nicht um böse „Anglizismen“ handelt, tippe ich Zweiteres.

IV. Zusammenfassung

Für Reichsbürger gibt es keinen Grund zur Freude. Auch dieses Urteil bestätigt ihre Unsinnsthesen nicht. Das VG Gießen hätte seine Äußerungen trotzdem besser unterlassen. Sie waren in der Sache irrelevant und zudem unzutreffend. Wer auf Kriegsfuß mit der Moderne steht, sollte diesen Kampf privat austragen und nicht über rechtsstaatliche Urteile. Dass das Urteil von den Reichsbürgern missbraucht werden würde, hätte sich jeder normal denkende Mensch ausrechnen können. Aber vielleicht gilt auch hier das bekannte deutsche Sprichwort: „Iudex non calculat.“

3 thoughts on “Herausgabe einer Diensttelefonliste – Feuchte Augen für Reichsbürger und Staatenlose? Anmerkung zu VG Gießen, Urt. v. 24.02.2014 – 4 K 2911/13 GI

  1. Advocatus diaboli

    Das VG Gießen hätte seine Äußerungen trotzdem besser unterlassen. Sie waren in der Sache irrelevant und zudem unzutreffend.

    So eng seh ich das nicht. Auch ein Gericht darf einmal in einem Obiter Dictum durchaus berechtigte Kritik an diesen laufend wechselnden pseudo-modernistischen Bezeichnungen aus der zweitklassigen Werbesprache äußern. Es hat ja erkennbar seine Entscheidung in keiner Weise darauf gestützt und mit Sicherheit nicht einmal eine logische Sekunde überlegt, ob die Benennung der Behörde eine rechtliche Bedeutung hat. Und wer eine Bibelstelle wie eine “normale” Literaturfundstelle zitiert, zeigt schon, daß er sich selbst auch nicht so ernst nimmt.

    Daß die Reichsbürger alles, was sich in irgendeiner Weise für ihre Zwecke nutzen läßt, sofort entsprechend umdeuten, ist ja bekannt. Aber die Rechtsprechung kann und soll auch nicht auf eine derart marginale Gruppe Rücksicht nehmen und zukünftig alles nur noch so schreiben, daß es keinesfalls pervertiert werden kann. Denn das schafft keiner, dafür sind die Reichsbürger einfach viel zu “kreativ”.

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    1. enormok Post author

      Vielen Dank für den Kommentar.

      Ja man erkennt, dass sich hier ein Richter mal Luft machen will, bei dem ganzen Wirrwarr. Ich habe großes Verständnis dafür und gewisse Sympathien. Deine Einschätzung, dass sich das VG selbst nicht so ernst genommen hat, teile ich.

      Bei den Reichsbürgern bin ich etwas anderer Meinung. Daher vielleicht auch meine etwas zu schroffe Beurteilung. Sie scheinen zur Zeit eine gewissen Konjunktur zu haben. Die Aufklärung junger Leute, die von ihrer Propaganda erstmal fasziniert sind, wird durch solche Aussagen des VG Gießen mE. leider erschwert. Ausbaden muss das dann wieder der arme Mitarbeiter im Jobcenter, dem gesagt wird, er sei nur eine Firma und man bereite einen “Schadenersatzvertrag” vor (was auch immer das sein soll). Daher finde ich: Keinesfalls nach deren Pfeife tanzen, aber auch nicht unnötig neues Futter geben.

      Viele Grüße
      Norman

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  2. HappyHater

    Ich möchte noch hinzufügen, dass der aus dem Urteil zitierte Satz “Auch in der Gerichtsbarkeit findet vermehrt der Ausdruck „E-justice” Verwendung, was ebenfalls auf ein fehlendes oder aber zumindest fehlerhaftes deutsches Sprachbewusstsein schließen lässt, denn justice bezeichnet gerade den altbewährten Begriff Gerichtsbarkeit.” inhaltlich schlicht falsch ist.

    Gerichtsbarkeit im formalrechtlichen Sinn nennt man im Englischen nämlich nicht “justice” (ein Begriff welcher im Englischen verschiedene Bedeutungen hat, keine davon ist allerdings “Gerichtsbarkeit”) sondern “jurisdiction”. Zwar mag der Richter in diesem Fall eher Gerichtsbarkeit im institutionellen Sinne gemeint haben, also die Gesamtheit der Gerichte als Institutionen, aber auch dies wäre in diesem Zusammenhang eindeutig falsch, da auch dies nicht der Bedeutungsgehalt des Wortes „E-justice” ist.

    „E-justice” bezeichnet den Einsatz elektronischer Verfahren im Rahmen der Justiz. Die Justiz wiederum ist aber etwas anderes als die Gerichtsbarkeit im institutionellen Sinne, schon alleine deshalb weil die Staatsfunktion der “Justiz” bekanntlich nicht nur von Gerichten (Judikative) sondern auch von Elementen der Exekutive vollzogen wird.

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